Eine temperamentvolle Frau, die kräftig stärkt und sehr weich spült
Artikel in den Stuttgarter Nachrichten vom 18. November 1986
von Gunter Barner / Thomas Hörner
Dank auch an Archivar Mathias Greiner
Das gelbe Schild hängt schüchtern an der kahlen Wand: ,,Hemden-Service und Chemische Reinigung“. Das Auge liest nur mühsam. Die dicken, grauen Lettern verstecken sich vor dem Tag. Bleich und abgeblättert. Behutsam zwängt sich das un scheinbare Haus zwischen seine Nachbarn in der Heusteigstraße.
Viel Gelb und sattes Blau. Nur das Erdgeschoß wagt Blicke auf sich zu ziehen. Ein weißer Pulli, ein weinroter Rock, eine graue Bluse baumeln auf Bügeln im Fenster. Drinnen verrichten sieben Schwerarbeiter ihr mühsames Werk. Pausenlos und zuverlässig. Nur dann und wann erlauben sie sich ein vernehmliches Brummen. Josepha Ruter (49) sorgt sich um ihre Gehilfen:
„Für die gibt’s leider keine Ersatzteile mehr.“ Und als müsste sie ihre weißen Riesen fürsorglich füttern, steckt sie ihnen drei Markstücke in den begierigen Schlund.
Alltag im Waschsalon. Ein alter Mann schiebt sich mühsam durch die Tür, blättert seine weißen Hemden auf den Tisch und kehrt zufrieden wieder um. Der Kragen muß gestärkt sein. Darauf legt er Wert. Klaus, der Student, stopft Unterwäsche, Geschirrtücher, Waschlappen, Bettwäsche und Handtücher in die Trommel. Fünf Kilo für sieben Mark. Zwölf Mark mit trocknen. „In meinem kleinen Appartement ist kein Platz für eine Waschmaschine“, sagt Klaus. Nach zwei Stunden kehrt er wieder.
Die Zeiten, als die Kunden noch im Waschsalon warteten, sind längst schon vorbei. ,,Heute hat doch keiner mehr Zeit“, bedauert Josepha Ruter. Nur selten noch kommt eine alte Frau, setzt sich mucks mäuschenstill und liest in ihrem Dreigroschenroman. Mitunter blickt sie auf, um sicher zu gehen, dass nichts verfärbt. Kann sein, dass sie plötzlich erschrickt: ,,Ach Gott, ich hab‘ meinen Weichspüler vergessen.“ Keine Sorge, Josepha Ruter hat dran gedacht. Sie angelt in letzter Sekunde die Papiertaschentücher aus den Hosentaschen, fischt Nägel und Schrauben aus den Arbeitsanzügen und reibt die weißen Apotheker-Mäntel kräftig mit Kernseife ein. „So gehen die Kuli-Flecken am besten raus“, verrät die 49jährige, die „kreuznarret“ war, als sie vor elf Jahren ihre Bettwäsche mangeln wollte und vor verschlossenen Türen stand. Die Geschäfte gingen schlecht. In ihrer Wut hat sie den Waschsalon gleich selber übernommen. Weiser geht’s nicht.
Sie hat lange gekämpft um das Vertrauen der Kunden. Jetzt kommen sie aus der ganzen Stadt, um ihre weißen Hemden handbügeln zu lassen, oder sie schleppen korbweise Wäsche für die Heißmangel an. Die Modelle aus dem Heusteigviertel liefern ihre Textilien per Taxi, und im Sommer ließ ein junger Mann mitten im Waschsalon die Hosen runter. ,,Der hatte zum Glück Shorts drunter an“, lacht sie und klatscht fröhlich in die Hände. ,,Ich dachte wirklich, der spinnt“.
So schnell je doch bringt man eine Josepha Ruter nicht aus der Ruhe. Mag sein, sie ist nicht ganz pflegeleicht. Dafür aber mit allen Wassern gewaschen.
Mehr über Josepha, die eigentlich Josefa oder Peppi heißt, finden Sie hier
Kindheitserinnerungen meiner Mutter