Die Aufsichtsräte haben beim Thema Verantwortung eine Schlüsselposition – die sie auch wahrnehmen sollten. Ein Experte fordert: Durch die Aufsichtsräte muss ein Ruck gehen.

Von RUDOLF X. RUTER

Durch die Finanzkrise sensibilisiert, wird die Rolle der Aufsichtsräte auch in anderen Branchen rege diskutiert. In einem sind sich alle Diskutanten einig: Das, was im Finanzmarkt passiert ist und fast zum GAU für die gesamte Weltwirtschaft geführt hat, sollte keinesfalls noch einmal geschehen. Um dem entgegenzuwirken und eine nachhaltige und erfolgreiche Unternehmensführung zu gewährleisten, ist der Aufsichtsrat in den Unternehmen das richtige Organ.

Die Realität sieht meist anders aus. Zu oft verhalten sich die Aufsichtsräte immer noch wie die drei chinesischen Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Dabei haben Aufsichtsräte weitgehende Befugnisse. Ihnen kommt unter anderem die wesentliche Rolle zu, nach § 111 Aktiengesetz (AktG) die Geschäftsführung zu überwachen. Sogar einzelne Maßnahmen der Geschäftsführung kann der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG von seiner Zustimmung abhängig machen. Ihm, dem Aufsichtsrat, obliegt es, Vorstände zu berufen und sie abzurufen. Er kann nachträglich die Bestellung von Vorständen aus einem wichtigen Grund widerrufen (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Gewissenhaft wahrgenommen werden die Rechte und Pflichten in den Aufsichtsräten jedoch bisher nicht in allen Aufsichtsräten. Die Folge: Die Risikolage in den Unternehmen bleibt bis auf weiteres bestehen. Eine nachhaltige Unternehmensführung kommt nicht zustande. Vergütung gezügelt Erste Regelungen und Bestrebungen, die Aufsichtsräte stärker gegenüber dem Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, gibt es bereits. So wurde über das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) aus dem Jahr 2009 die Regulierung von Vorstandsvergütungen deutlich verschärft. Ihre Vergütung soll sich stärker an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung ausrichten. Der Aufsichtsrat soll über die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung dafür Sorge tragen. Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt zudem den Aufsichtsräten, sich für ihre ursächliche Aufgabe, das Unternehmen zu kontrollieren, besser ausbilden zu lassen. Vor allem in den Bereichen „rechtliche Grundlagen“, „Konzernrechnungslegung“ und „Risiko-Controlling“ sieht die Regierungskommission Qualifikationsnachholbedarf. Darüber hinaus gibt es Stimmen aus der Opposition, die die Bundesregierung zu weiteren Verschärfungen auffordern; etwa den § 100 AktG dahin gehend zu verändern, dass eine Person maximal fünf Aufsichtsratsmandate übernehmen darf, wobei der Vorsitz doppelt zählen soll; die Berufung eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsrat erst nach einer Karenzzeit von fünf Jahren zuzulassen; eine zentrale Datenbank einzurichten, in der sich Bewerberinnen und Bewerber für Aufsichtsratsmandate eintragen sollen. Das Ideal des „ehrbaren Kaufmanns“ Dies alles, selbst wenn verabschiedet und befolgt, wird aber nicht ausreichen, um für eine nachhaltige Unternehmensführung die Tugenden eines „ehrbaren Kaufmanns“ mit den Rechten und Pflichten eines „verantwortungsbewusst kontrollierenden Aufsichtsrats“ in Einklang zu bringen. Nur Aufsichtsräte, die Ethik und soziale Gerechtigkeit zur Leitlinie ihrer Kontrolle und ihres Handelns machen, werden das Management abseits von Gier und kurzfristigen Gewinnmaximierungsüberlegungen zu nachhaltigem unternehmerischem Handeln bewegen. Die Tatsache, dass im Finanzsektor schon wieder die alten Anreizstrukturen und mangelhaften Regulierungssysteme gelten, verdeutlicht, wie groß der Veränderungsbedarf ist. Diese Veränderung muss vom Aufsichtsrat als oberstem Überwacher der Leitung und Lenkung ausgehen. Er muss eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmensführung einfordern und diese Strategie fest im Kodex des Unternehmens verankern. Nachhaltige Unternehmensführung heißt nicht nur, ökonomisch, ökologisch und sozial gerecht zu handeln. Sie bedeutet auch, das Überleben des Unternehmens langfristig zu sichern. Spätestens hier sollten sich eigentlich beide Organe, Aufsichtsrat wie Vorstand bzw. Geschäftsführung, treffen. Das, was Aufsichtsräte dafür tun müssen, hat vermehrt bindenden Charakter. So nimmt die neue gesetzliche Regelung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) die Aufsichtsräte stärker in die Haftung: hinsichtlich ihrer Qualifikation und der Ausführung ihrer Aufgaben bis hin zu einer anerkannten Zertifizierung ihrer Fähigkeiten. So muss nach BilMoG mindestens ein Aufsichtsratsmitglied nachweisbare Kenntnisse zur Rechnungslegung oder Abschlussprüfung mitbringen. Aufsichtsräte können zwar die Wahrnehmung von Aufgaben an Ausschüsse delegieren, so Überwachungsaufgaben nach § 107 Abs. 3 AktG an den Prüfungsausschuss. Für die Wahrnehmung der Aufgaben ist und bleibt aber jedes Aufsichtsratsmitglied verantwortlich. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ) fordert den Aufsichtsratsmitgliedern mehr fachliche Kompetenz ab. Es werden weitere Regelungen und Bestrebungen für ein koordiniertes und verantwortungsbewusstes Zusammenspiel von Aufsichtsrat und Vorstand bzw. Geschäftsführung notwendig sein. Sie werden auf zusätzliche Rechtsgrundlagen, das Wesen der Organe, die Ausgestaltung von Rechten, Pflichten, Haftung und Eignungsprüfung bzw. Personalauswahl, wirtschaftliche Kontrollinstrumente sowie eine bessere Zusammenarbeit mit Abschlussprüfern abzielen müssen. Parallel muss durch die Aufsichtsräte ein Ruck gehen. Und das Management? Es ist gut beraten, die Zeichen einer neuen Ära klar zu erkennen und sein Handeln danach auszurichten. Rudolf X. Ruter hat als Partner bei Ernst & Young den Geschäftsbereich Nachhaltigkeit in Deutschland aufgebaut und ist Leiter des Arbeitskreises „Nachhaltige Unternehmensführung“ in der Schmalenbachgesellschaft.

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