Hier ein sehr lesenswerter Artikel aus Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31.10.2010, Nr. 43 / Seite 35

EIN balance-akt
Meine 100er-Liste
von BETTINA WEIGUNY

Olga streikt. „So kann ich nicht arbeiten“, schimpft unsere Putzfrau. „Überall Chaos.“ Sagt es, ignoriert die Haufen links und rechts und zieht ab. Sie hat recht: Wir versinken im Krimskrams. Schreibwerkzeug aus zwei Jahrzehnten, der erste 386er Computer plus Nadeldrucker und etliche Folgemodelle, Faxgeräte, Fernseher. Funktioniert alles noch. Vermutlich. Wir werden es nie testen. Die Hightech-Errungenschaften stauben nur ein, stören, nerven. Genauso wie das Spielzeug überall, die zu engen Hosen, der Kinder-Fuhrpark in der Garage. Die Hälfte muss weg, mindestens. Wie es Bill Gates vorgemacht hat.

Überhaupt ist Verzicht schwer im Trend. Alle verzichten: Reiche auf ihr Vermögen, weniger Begüterte auf Kalorien und CO2-Ausstoß. Ein österreichischer Millionär verlost seine Villa im Internet. Minister Guttenberg verzichtet auf die halbe Bundeswehr, die Franzosen auf zwei Jahre Rente. Wir machen jetzt mit bei der Bewegung. Kann nicht so schwer sein, dachte ich. 

Dave Bruno, Amerikaner, Vater dreier Töchter, bekehrter Marketingmanager und Held der Verzichtler, hat eine Anleitung dazu geschrieben: „The 100 Things Challenge“. Exakt 100 Sachen gesteht er jedem Familienmitglied zu. Mehr nicht. 100 Dinge, das sind 50 weniger, als ein Mensch im Jahr 1860 besessen hat, das habe ich in einem „less is cult“-Blog gelesen, heute besitzt jeder von uns etwa 35 000 Sachen. Irre. Also los, Kinder! Haus, Tisch und Stühle sind Gemeinschaftsgut, das zählt nicht für die 100er-Liste. Schuhe zählen paarweise, Bücher als „Sammlung“ – also ein Stück. Aber das Geschirr? Zählt jeder Teller einzeln, jede Gabel? Und was ist mit den Schulsachen? Ein Ranzen oder 29 Stifte? Schon geht das Theater los. So schaffen wir die 100 nie! 

Als Hannes heult, lasse ich mich erweichen: Lego zähle ich nicht pro Stein, sondern pro Kiste. Den Wein auch, Hosen per Stapel. Der Rest kommt auf den Müll, kistenweise, oder wird verschenkt. Olga bekommt Omas Silberbesteck. Sauer ist sie trotzdem: Das Putzzeug ist weg. Die 100er-Liste war voll.